Ohne Zweifel: Sie waren echte Pioniere und ihr Beruf war ein Abenteuer. Sie waren vielleicht die letzten, die Wege in noch unerschlossenen Länder bahnten, aber die ersten ihres Fachs, die international und in allen Erdteilen arbeiteten: Die Ingenieure der großen Eisenbahnen.
Am Ende des 19. Jahrhunderts, als in Mitteleuropa nur mehr Nebenstrecken gebaut werden, zieht es die jungen Bauingenieure nach Asien und Übersee. So auch Otto Kapp, der nach dem Studium an unserer Hochschule (damals noch "Polytechnische Schule") und einigen Berufsjahren in Deutschland eine Anstellung bei einer französischen Firma erhält, die das Planungsbüro der serbischen Bahnen in Belgrad unterhält. Dort heißt es: "Sie können von den Franzosen nicht verlangen, dass man Sie gleich zum Oberingenieur macht. Zeigen Sie erst, was Sie können, dann wird es schon besser werden."
Syrien, China, Vietnam und Chile. Berühmt wird er durch seine Arbeiten an der legendären Bagdadbahn, die den asiatischen Teil des Osmanischen Reiches von Konstantinopel bis Bagdad erschließen sollte. Die Bagdadbahn war nicht nur eine Infrastrukturmaßnahme zugunsten von Landwirtschaft und Industrie, vor allem sollte sie mittels ihrer militärischen Funktion die bereits prekäre Machtbasis des osmanischen Sultans stabilisieren. Das Osmanische Reich, "der kranke Mann am Bosporus" kann das Projekt jedoch nicht finanzieren, so dass ein deutsch-französisches Konsortium unter der Federführung der Deutschen Bank und politischer Unterstützung des Deutschen Reichs sich aufmacht, unter den Augen der technisch enthusiastischen deutschen Öffentlichkeit die Strecke zu bauen. Otto Kapp wird Chefingenieur der ersten Strecke von Konstantinopel nach Ankara.
Die Schwierigkeiten, die er zu meistern hatte, waren nicht nur technischer Art, wie Tunnel- und Brückenbau, Flusskorrekturen oder Uferschutzmaßnahmen. 1889 heißt es im Geschäftsbericht der Anaotolischen Eisenbahngesellschaft: "Ausser den einheimischen Wechselfiebern grassirte unter den Beamten und Arbeitern in besonders heftiger Weise während der Herbstmonate das Denguefieber, welchem im Winter die nicht minder ausgebreitete Influenza folgte, was den Fortschritt der Arbeiten wesentlich verlangsamte, außerdem wurde der Verkehr im Innern des Landes durch die herrschende Epzootie [Viehseuche], sowie durch die durch räuberische Überfälle verursachte Unsicherheit der Straßen stark beeinträchtigt."
Beim Ausbruch des Ersten Weltkriegs wird Otto Kapp von seinem französischem Baukonzern "Régie générale des chemins de fer et travaux publics" nach 32 Jahren Zugehörigkeit entlassen. Inzwischen hoch geehrt als Offizier der französischen Ehrenlegion, Ehrendoktor der Technischen Hochschule Stuttgart (1914), vom König von Württemberg in den erblichen Adelsstand erhoben (Gültstein ist der Geburtsort seines Vaters), hatte er durch den Ingenieurberuf wie nicht wenige seiner Generation einen beachtlichen sozialen Aufstieg erlebt. Inzwischen wohlhabend zieht sich Kapp nach Gültstein und Stuttgart zurück, wo er 1920 stirbt.
Norbert Becker
Literatur
- Pohl, Manfred: Von Stambul nach Bagdad. Die Geschichte einer berühmten Eisenbahn. München 1999.
- Gotzen, Daniel: Von der Gäubahn zur Bagdadbahn - Otto Kapp von Gültstein. In: Herrenberger Persönlichkeiten aus acht Jahrhunderten. Herrenberg 1999, S. 361-366.
Links
- Biographie Otto Kapps (S. Ellwanger)
- Deutsche Biographie
- Biographie Zeitreise-bb
- Villa Kapp in Gültstein
- Bagdadbahn (Artikel in Wikepedia)
Bildquellen
- Portrait: Historische Gesellschaft der Deutschen Bank e.V.; Gleislegemaschine: Philipp Holzmann Aktiengesellschaft im Wandel von Hundert Jahren 1849 - 1949. Frankfurt/Main 1949, S. 251.